Deutschland-Nulltarif?

In einem Kommentar sprach mein Stammleser Martin eine Forderung an, die in letzter Zeit unter anderem durch die Piratenpartei immer wieder aufkommt: die nach einem kosten- bzw. fahrscheinlosen Nahverkehr. Wie im Kommentar zum Kommentar versprochen, mache ich mir in diesem Beitrag mal ein paar Gedanken dazu.

Hauptargument für den kostenlosen ÖPNV ist meist die Entlastung von Straßen und Umwelt durch verstärkte Nutzung des ÖPNV: wenn die Leute mehr Bus fahren, weil es günstiger ist, fahren sie weniger Auto. Aber stimmt das denn überhaupt? In meinem Brief an den VRR habe ich ja moniert, dass für manche Fahrten die Preise einfach unverhältnismäßig hoch sind, musste dann aber selber zugeben, dass ich nicht weiß, wie oft Leute tatsächlich aus diesem Grund nicht fahren. Die Argumente, die ich in meinem Umfeld am häufigsten gegen den ÖPNV höre, lauten jedenfalls – ob berechtigt oder nicht – eher „dauert zu lange“, „zu viel Umsteigen“ oder „fährt nicht dann, wenn ich will“. Auch ich wäre hier in Aschaffenburg, wo eine Monatskarte im Abo weniger als 30 Euro kostet, bereit, etwas mehr zu bezahlen, wenn ich dafür ein besseres Angebot vor allem in Schwachlastzeiten bekäme.

Hier liegt auch der Pferdefuß des kostenlosen ÖPNV: Kostenlos bedeutet nicht automatisch besseres Angebot – im Gegenteil: Fehlen die Fahrgeldeinnahmen, die ja bei zunehmender Nutzung i.d.R. steigen, so fehlt auch den Aufgabenträgern der Anreiz, mehr Fahrzeuge einzusetzen oder sie abends länger fahren zu lassen. Das gilt besonders, wenn anstatt einer Monatskarte für alle eine reine Steuerfinanzierung eingeführt wird: Steuern sind laut Gesetz nicht zweckgebunden, und das Geld, das heute für den ÖPNV verplant ist, kann morgen schon in der Rentenkasse landen. Natürlich ist der ÖPNV auch heute bereits subventioniert, allerdings ist der Kostendeckungsgrad mit ca. 75% relativ hoch (→ Quelle), und die negativen Effekte dieser relativ geringen Subventionierung sind regelmäßig spürbar, wenn mal wieder in einer Region das Angebot aus Kostengründen zusammengestrichen wird.
Der ÖPNV wäre also noch mehr als bisher ein Spielball der jeweiligen politischen Kräfte, und die Fahrgäste hätten noch weniger Argumente als jetzt, um Kürzungen zu verhindern. Selbst gut angenommene Linien könnten einfach so eingestellt werden, wenn dem Aufgabenträger das Geld fehlt – ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf Qualitätskriterien wie Pünktlichkeit, Sicherheit und Sauberkeit.

Die beiden Referenzstädte für kostenlosen ÖPNV, Hasselt (Belgien) und Templin (Brandenburg) zeigen natürlich, dass das Modell nicht prinzipiell undenkbar ist. In Templin allerdings war der Erfolg zu groß: Die Nutzung der Busse und damit die Kosten nahmen so stark zu, dass doch wieder eine Gebühr (wenn auch nur eine symbolische von 29 Euro pro Jahr für eine Kurkarte) erhoben wird. Auch in Hasselt fahren jetzt deutlich mehr Leute Bus, was allerdings sicher auch an der Umstrukturierung des Netzes gelegen hat, die zeitgleich mit der Abschaffung der Fahrscheinpflicht stattfand. Für beide Städte sind mir keine Untersuchungen darüber bekannt, wie viele der neuen Fahrgäste Umsteiger vom Auto sind.

Hier noch einige Pro-und-Contra-Argumente aus anderen Bereichen: Sozialpolitisch liegt natürlich der Nutzen eines kostenlosen ÖPNV auf der Hand, sofern die Betroffenen nicht „hinten herum“ wieder mehr Geld über Steuern ausgeben. Dieser positive Effekt kann aber auch anders, z.B. durch Sozialtickets, erzielt werden. Undurchsichtige Tarifsysteme sind auf jeden Fall auch ein Problem, das man aber wiederum durch eine radikale Vereinfachung lösen könnte – wobei man gleich auch die Fälle mit abhandeln sollte, in denen die Preise punktuell wirklich zu hoch sind wie für die Fahrt zum Schwimmen nach Dorsten.

Fazit: Kostenloser ÖPNV kann also dort ein nettes Extra sein, wo es einen rührigen Aufgabenträger gibt. Ein umweltpolitischer Effekt ist aber allenfalls dann denkbar, wenn das Angebot so gut ist, dass es Autofahrer zum Umsteigen bewegt. Aber auch dahinter muss man ein Fragezeichen setzen, denn nicht zuletzt stoßen auch Busse und Bahnen noch auf absehbare Zeit jede Menge CO2 und andere Schadstoffe aus, und ob es vor diesem Hintergrund sinnvoll ist, Mobilität völlig kostenlos für die Nutzer zu machen?

Antwort des VRR

Auf meinen Brief an den VRR habe ich gestern eine Antwort per E-Mail bekommen. Sie besteht im Wesentlichen aus einer Erklärung des Tarifsystems und der Art und Weise, in der es zustande kommt. Zwei Sätze aus der Mail möchte ich näher kommentieren:

Bei der Preisbildung spielt auch der Faktor Fahrtenhäufigkeit sowie die Kostendeckung eine entscheidende Rolle.

Da muss ich sagen: „Im Zweifel für den Angeklagten“. Ich weiß nämlich tatsächlich nicht, wie häufig der von mir geschilderte Fall (Gelegenheitsfahrer fährt in die Nachbarstadt) tatsächlich auftritt. Menschen, die dauerhaft in der Gegend wohnen, werden mindestens Vierertickets oder sogar eine Monatskarte besitzen. Letztere kann, wenn sie nur für die eigene Stadt gilt, durch ein Zusatzticket relativ preiswert aufgewertet werden. Bei häufigeren Fahrten kann man auch eine Monatskarte der Preisstufe B mit geschickt gewähltem Zentraltarifgebiet kaufen. Beispielsweise kommt man mit dem Zentraltarifgebiet Gelsenkirchen von Marl aus schon recht weit (z.B. Dorsten, Bochum, Recklinghausen, Essen, nicht aber Haltern). Nur für Gelegenheitsfahrer lohnt sich das natürlich nicht. Der nächste Satz lässt etwas tiefer blicken:

Im VRR-Raum ist die finanzielle Lage in den Kommunen derart angespannt, dass a) die Nutzer des ÖPNV mit einem immer größeren Anteil an der Finanzierung desselben beteiligt werden sollen und dass b) Tarifmaßnahmen, die zu Mindereinnahmen führen, von den einnahmenverantwortlichen Verkehrsunternehmen und den politischen Entscheidern abgelehnt werden, es sei denn, sie sind politisch gewollt (z.B. Semesterticket für Studierende).

Das Umsteigen auf den ÖPNV ist also anscheinend nicht in jedem Fall politisch gewollt, obwohl es ja der Umwelt und der Entlastung der Straßen dient. Ich bin kein Fan von kostenlosem Nahverkehr (dazu vielleicht ein andermal mehr), aber bei 9,80 Euro für eine Fahrt über die Stadtgrenze und zurück ist eben für mich das andere Extrem erreicht. Hier hätte ich eigentlich von allen Beteiligten etwas mehr Mut und Innovationsgeist erwartet. Auf meinen Vorschlag der Mischkalkulation oder den Hinweis auf mögliche Mehreinnahmen durch geringere Preise ist der VRR leider überhaupt nicht eingegangen. Bleibt zu hoffen, dass meine Schwester und ich hier wirklich Einzelfälle sind und dass trotz der schwierigen Lage die Idealisten in den Verkehrsunternehmen ihren Einfluss behalten, so wie ich es von der Vestischen kenne. Vielen Dank an den VRR für die Antwort!

Brief an den VRR

Folgenden Brief habe ich heute abgeschickt und bin mal gespannt auf die Antwort und auf eure Meinung dazu:

Verkehrsverbund Rhein-Ruhr
Augustastraße 1
45879 Gelsenkirchen

Tarifgestaltung insbesondere im nördlichen Ruhrgebiet

Sehr geehrte Damen und Herren,

als begeisterter Nutzer des ÖPNV erledige ich gerne, wenn ich bei meinen Eltern in Marl zu Besuch bin, möglichst viele Wege mit dem Bus. Da es beispielsweise in Marl praktisch kein Schwimmbad mehr gibt, fahre ich gerne zum Schwimmen nach Dorsten oder Herten oder nutze die recht guten Verbindungen zum Einkaufszentrum Marler Stern.

Das jetzige Tarifsystem des VRR ist mir seit seiner Einführung 1993 als angenehm einfach bekannt, auch wenn von diesem Vorteil im Zuge der Integration der VGN ein wenig verloren gegangen ist. Diese Einfachheit hat jedoch auch einen Nachteil: Die von mir vorzugsweise durchgeführten Fahrten sind unverhältnismäßig teuer. Die erwähnte Fahrt nach Dorsten und zurück beispielsweise kostet stolze 9,80 Euro und damit deutlich mehr als der Eintritt ins Erlebnisbad. Für eine Fahrt nach Essen, die mit demselben Ticket auch möglich wäre, ist dieser Preis angemessen, nicht jedoch für eine Fahrt über 8 km in eine Nachbarstadt, von deren Grenze meine Eltern nur wenige Haltestellen entfernt wohnen.

Gleiches gilt für die Fahrt in den Marler Stern: Für die hier anfallenden 4,80 Euro könnte ich auch bis nach Recklinghausen fahren, was mir aber wenig nützt, wenn ich eben schon in Marl Mitte aussteigen möchte. Für die Kurzstrecke dagegen ist die Fahrt mit 5 Haltestellen ganz knapp zu lang.

Auf Vierertickets auszuweichen, wäre zwar prinzipiell möglich, aber umständlich, da man sie nicht beim Fahrer kaufen kann. Außerdem kostet eine Hin- und Rückfahrt der Preisstufe B dann immer noch 8,65 Euro, und es ist unklar, ob man die beiden übrigen Fahrten bis zur nächsten Preiserhöhung noch aufbraucht.

Aufgrund meiner hohen ÖPNV-Affinität fahre ich oft trotzdem mit dem Bus. Meine Schwester dagegen würde gerne die Umwelt schonen und dafür auch die längeren Fahrzeiten des Busses in Kauf nehmen, greift angesichts der erwähnten Preise dann allerdings doch meistens auf das Auto zurück.

Um dieses Problem zu lösen und den ÖPNV attraktiver zu machen, würde ich mich über eine Änderung des Tarifs freuen, ohne dabei aber das Tarifsystem noch weiter verkomplizieren zu wollen. Vor einiger Zeit wurde etwa Marl-Polsum zum Überlappungsbereich der Tarifgebiete Marl und Gelsenkirchen erklärt, so dass Fahrten in beide Städte nun mit der Preisstufe A möglich sind. Es würde mich freuen, wenn es noch mehr von solchen pragmatischen Lösungen gäbe. Aber auch eine generelle Neudefinition der Preisstufen oder des Ticketsortiments (z.B. Tagesticket unter dem Preis von zwei Einzeltickets) wäre hier ein Schritt in die richtige Richtung.

Mir ist klar, dass solche Änderungen natürlich Einnahmeverluste für die Verkehrsunternehmen bedeuten. Wenn diese aber nicht über Mischkalkulationen oder die dann verstärkte Nutzung abgefangen werden können, bin ich gerne bereit, auch an die Aufgabenträger zu appellieren, diese Verluste zu tragen. Nach meiner Erfahrung gehört eine innerstädtische Einzelfahrt im VRR nicht nur im deutschlandweiten Vergleich zu den teuersten überhaupt. Selbst in New York, einer der teuersten Städte der Welt mit wesentlich besserem Nahverkehrsangebot, ist eine Einzelfahrt für die gesamte Stadt für umgerechnet 2 Euro zu haben.

Ich würde mich daher freuen, wenn es in dieser Hinsicht ein wenig Bewegung gäbe und freue mich auf Ihre Rückmeldung dazu.

Mit freundlichen Grüßen

Go East

Gestern habe ich mal wieder ein Lehrstück zum Thema „internationale Buchung“ erlebt: Ende Juli/Anfang August will ich in die Slowakei fahren. Der meinem Ziel nächstgelegene Bahnhof ist Kriváň in der Mittelslowakei, was man über Wien und Bratislava gerade noch an einem Tag von NAH aus erreichen kann. Die DB-Auskunft verweigert einem dafür allerdings die Online-Buchung, so dass ich mich gestern zum Schalter begeben habe. Nach einigem Probieren fand der Mitarbeiter dort Folgendes heraus: Bis Bratislava kann er mir ein Europa-Spezial verkaufen, das jetzt, fast drei Monate vorher, auch noch in der günstigsten Preisstufe vorhanden ist. Den innerslowakischen Fahrschein kann er mir ebenfalls verkaufen, wenn er (warum auch immer) in Zvolen stückelt. Preis: 34,20 Euro pro Richtung. Auf meine Frage hin, ob es eventuell günstiger ist, den Fahrschein vor Ort zu kaufen, lautet die Antwort: „Wenn die auch den Euro haben, dann nicht“. Zu Hause schaue ich dann auf der → Website der slowakischen Bahn nach, die mir nach einigem Gefummel verrät, dass eine Buchung (und Preisauskunft) erst zwei Monate im Voraus möglich ist. Eine Testanfrage für Ende Juni ergibt einen Preis von 10,13 Euro – weniger als ein Drittel des DB-Preises. Also heißt es für die Gegenwart: Ab zum Reisezentrum und die Fahrkarte umtauschen, und für die Zukunft: Nie einen Binnenfahrschein eines anderen Landes bei der DB kaufen, selbst dann nicht, wenn in diesem Land der Euro gilt *seufz*.

Kombi-Angebot

Gestern bin ich durch Zufall auf ein interessantes Angebot für alle gestoßen, die in einer deutschen Jugendherberge übernachten und mit dem Zug anreisen: In diesem Fall gibt es den Fahrschein dafür nämlich zu einem günstigen Pauschalpreis (bis 400 km 76 Euro, darüber 117 Euro). Für Kinder, Gruppen und BahnCard-Inhaber gibt es Rabatt. Die Fahrscheine können online oder telefonisch bestellt werden. Weitere Informationen gibt es unter → http://www.anreise-jh.de. Ob ich meine Reise nach Bremerhaven im Oktober mit diesem Ticket wohl günstiger hätte machen können, ist nicht ganz klar, weil die Seite nicht verrät, ob man Via-Bahnhöfe eintragen lassen kann. [Nachtrag: Die Anreise wäre auf keinen Fall günstiger gewesen, da die JH Bremerhaven nicht zum DJH gehört.] Außerdem hätte ich wohl zwischen Bremen und Bremerhaven nicht die NordWestBahn benutzen können, sondern hätte auf den nächsten RE der DB warten müssen. Fazit: Eine gute Sache, wenn es auch mal wieder ein Sonderfall mehr im Tarifsystem ist.

Deutschland-Tarif

Bewegt man sich nur innerhalb der eigenen Heimatregion oder fährt nur mit dem DB-Fernverkehr, ist das Tarifsystem meistens noch relativ einfach zu begreifen. Durch die Vielzahl der Verkehrsverbünde, die es zudem nicht einmal überall gibt, wird es aber schnell kompliziert, wenn man sich öfter in andere(n) Regionen bewegt. Dazu kommt noch, dass einige Tarife unternehmensabhängig sind und nicht bei allen der wie Pilze aus dem Boden schießenden Privatbahnen gelten. Sollte die DB einmal in größerem Umfang Konkurrenz im Fernverkehr bekommen, dürfte dieses Problem noch weiter zunehmen.
Für die Koordination von Fahrplänen gibt es bereits die Initiative → „Deutschland-Takt“, die sich aus Vertretern von Fahrgastverbänden, aber auch einiger Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen zusammen setzt. Der VCD skizziert darüber hinaus auch einen → „Deutschland-Tarif“, der diesen koordinierten Fahrplan ergänzen würde.
Ich habe mir daher mal ein paar Gedanken gemacht, wie ein solcher Tarif aussehen könnte. Dabei gibt es für fast alle Komponenten des Systems bereits Vorbilder im Aus- oder sogar Inland, die man nur konsequent zu Ende denken müsste:

Kernstück des neuen Tarifsystems ist eine einheitliche Einteilung ganz Deutschlands in Tarifzonen, die (wie die VRR-Tarifgebiete) mehrere kleine Gemeinden, eine mittelgroße Stadt oder einen Teil einer Großstadt umfassen. Bis zur Entfernung von etwa 100 km (das ist die Größe von großen Verkehrsverbünden wie VRR oder RMV) gilt ein Zonentarif entsprechend den heutigen Verbundtarifen. Darüber hinaus soll ein Relationstarif gelten, der aber nicht nur in Zügen, sondern auch im lokalen ÖPNV zumindest am Start- und Zielort anerkannt wird (also etwa wie der heutige DB-Tarif mit City-Ticket).
Das Neue daran ist, dass die Reichweite des Zonentarifs immer vom Startpunkt und nicht mehr von den Grenzen des Verkehrsverbundes abhängt. Das mag auf den ersten Blick kompliziert klingen, aber eine Liste, bis zu welcher Entfernung welcher Tarif gilt, braucht man auch jetzt schon. Der große Vorteil ist, dass Übergangstarife an den Grenzen der Verbünde entfallen und außerdem die Preisstufen und das Fahrscheinsortiment in ganz Deutschland gleich sind. Macht man also einen Ausflug nach Hamburg, muss man sich nicht durch das dortige Angebot von Fahrscheinen wühlen, sondern weiß, dass dort das Angebot dasselbe ist wie zu Hause. Informieren muss man sich nur, bis wohin welche Preisstufe gilt und ab wo der Relationstarif angewendet wird.

Weitere Details meiner Idee mit den jeweiligen Vorbildern:

  • Der Zonentarif sollte eine Kurzstrecke für etwa 4 (Bus-/Straßenbahn-)Haltestellen sowie vier weitere Preisstufen umfassen: A für Fahrten innerhalb der Tarifzone, B für den zwei Tarifzonen breiten Kranz, der darum herum liegt, C für einen weiteren etwa zwei Tarifzonen breiten Ring und D für den Rest der 100-km-Zone. Vorbild ist das bis 2011 gültige VRR-Tarifsystem.
  • Die Zonen sollten nicht in kleinere Einheiten unterteilt werden. Um Preissprünge an den Grenzen abzumildern, haben die Zonen aber große Überlappungsbereiche, so wie bis 1993 im VRR üblich. Heutiges Beispiel: Marl-Polsum gehört sowohl zum Marler als auch zum Gelsenkirchener Tarifgebiet.
  • Die Überlappungsbereiche sowie die Größe der Tarifzonen können ggf. auch eingesetzt werden, um unterschiedliche Sozialstrukturen und Fahrtgewohnheiten darzustellen (z.B. kleinere Zonen in Gebieten mit hoher Kaufkraft, große Überlappungsbereiche in Gebieten, die häufig in oder aus zwei Richtungen angefahren werden).
  • Die Fahrt in Preisstufe A sollte nicht mehr als 2 Euro kosten (Einzelfahrt in Aschaffenburg: 1,50 Euro, in Paris: 1,70 Euro, in Rom: 1 Euro)
  • Die Fahrradmitnahme sollte kostenlos möglich sein (wie heute z.B. im RMV und der VAB)
  • Es sollte einen Bahncard-Rabatt auf alle Fahrscheine geben, mit denen dann auch überall gefahren werden kann (wie heute z.B. im VRN).
  • Es sollte möglich sein, einen Fahrschein zum Zonentarif nur mit Angabe der Preisstufe zu kaufen (wie heute z.B. im VRR). Dies ist meines Erachtens praktischer als das in RMV und VAB übliche System, dass immer eine Zielzone angegeben werden muss. Fahrgäste und Fahrpersonal müssen keine Zonennummern auswendig lernen, und es müssen weniger Ausnahmen im Geltungsbereich definiert werden. Insbesondere für Zeitkarten ist nützlich, dass diese in einem gleichmäßigen Radius um das Zentraltarifgebiet gelten.
  • Die bisherigen Geltungsbereiche von verbundweiten Fahrscheinen (Semesterticket, Kombitickets) werden auf die 100-km-Zone vom jeweiligen Uni- oder Veranstaltungsstandort übertragen. Davon profitieren vor allem heute Standorte, die heute am Rand eines Verbundgebiets liegen, wie die TU Dortmund.
  • Fahrscheine über 100 km hinaus werden nicht mehr von Bahnhof zu Bahnhof, sondern ebenfalls von Tarifzone zu Tarifzone gekauft. Es ist also auch der Kauf zwischen zwei Gemeinden ohne Bahnhof möglich, ähnlich wie beim heutigen NRW-Tarif. Im Gegensatz zu diesem sind aber alle verkehrsüblichen Wege zwischen Start- und Endpunkt zugelassen. Ein Fahrschein von Aschaffenburg nach Marl würde also auch im Bus von Recklinghausen nach Marl gelten, was heute nicht der Fall ist.
  • Im Fernverkehr plädiere ich für die Abschaffung der Bahncard 25. Im Gegenzug sollte der Normalpreis leicht gesenkt werden und vor allem mehr Fahrscheine in den jeweiligen Kontingenten der Spartarife angeboten werden. Die Möglichkeit, mit der Bahncard 50 den Normalpreis zu ermäßigen, sollte für alle, die viel spontan fahren, weiter bestehen bleiben.
  • Fahrscheine sollten in allen öffentlichen Verkehrsmitteln gelten, unabhängig vom Betreiber. Dies gilt auch bei etwaigen privaten Fernverkehrsanbietern. Gegebenenfalls ist die Verkaufsstelle dann nicht mehr die DB, sondern eine zentrale landesweite Stelle (Vorbild Großbritannien).

Soweit die Grundzüge des Deutschland-Tarifs, die auf jeden Fall enthalten sein sollten. Folgende Fragen sollten auch noch diskutiert werden:

  • Sollte die Trennung in drei Preiskategorien (ICE, IC, Nahverkehr) bestehen bleiben oder sollten alle Fahrscheine in allen Zügen gelten? Letzteres würde das Tarifsystem drastisch vereinfachen, insbesondere für Fälle, in denen ein anderer Zug als geplant benutzt werden muss. Andererseits würde es möglicherweise Fahrgäste in schnellere Züge umlenken, ohne dass es dafür nennenswerte Mehreinnahmen für den Betreiber (= meist DB Fernverkehr) gibt. In diesem Zusammenhang wäre auch die gesetzliche Trennung zwischen subventioniertem Nah- und eigenwirtschaftlichen Fernverkehr auf den Prüfstand zu stellen (Vorbilder sind die Schweiz oder die Niederlande).
  • Sollten Fahrscheine vor Fahrtantritt entwertet werden müssen oder nicht? Ersteres birgt das Risiko eines Schwarzfahrens, wenn man das Entwerten vergisst. Da es dann allerdings in ganz Deutschland nötig wäre, gäbe es keinen Umgewöhnungseffekt in fremden Regionen. Der Vorteil wäre, dass man Tickets (auch z.B. verbilligte Vierertickets oder Zehnerblöcke) auf Vorrat kaufen könnte.
  • Welche Rechte sollten Fahrgäste bei Betriebsstörungen haben: Benutzung von höherwertigen Zügen oder Umwegen, Erstattung von Taxikosten oder Zuschlägen, Aufhebung einer eventuellen Zugbindung, Erstattung in Form von Gutscheinen, …? Ab welcher Verspätung greifen diese Rechte, sind verpasste Anschlüsse (auch verkehrsmittelübergreifend) eingeschlossen? Wie sieht es aus, wenn die Ursache höhere Gewalt ist?
  • Weitere zu klärende Punkte wären etwa der Preis von Tageskarten relativ zu Einzelfahrten (in der VAB z.B. weniger als das Doppelte, im RMV genau das Doppelte ohne Bahncard-Rabatt, im VRR etwas mehr), die Ausgabe von Monatskarten (an jedem beliebigen Tag beim Fahrer wie in der VAB oder nur im Kundenzentrum zum Monatsanfang wie im VRR), das Höchstalter für den Kindertarif, die kostenlose Mitnahme von eigenen Kindern, die Mitnahme von Fahrrädern und Hunden, …
  • Für Nummerierungsfans: Die Tarifzonen sollten im Normalfall nicht kleiner sein als die fünfstelligen Postleitzahlgebiete, so dass eine fünfstellige Nummer ausreichen würde. Diese könnte sich an der PLZ orientieren, muss aber nicht mit dieser identisch sein. Um Verwechslungen zu vermeiden, kann man aber natürlich auch andere Systeme verwenden (z.B. Koordinatensystem wie im VRR, erste zwei Ziffern für das Bundesland etc.).

Obwohl es bereits viele Schritte in die richtige Richtung gibt (NRW- und SH-Tarif, City-Ticket, Schönes-Wochenende-Ticket), schätze ich leider meine Idee eher als Wunschtraum denn als realistisches Projekt ein. Selbst wenn nur der Nahverkehr einbezogen werden soll, wären vermutlich jahrelange Verhandlungen zwischen den einzelnen Verkehrsunternehmen und Aufgabenträgern erforderlich. Die Einbeziehung des Fernverkehrs würde vermutlich sogar die Änderung von Bundesgesetzen nötig machen, die zurzeit nicht in der Planung ist. Jetzt ist eure Sicht als Fahrgast gefragt: Würde es sich eurer Meinung nach lohnen, für einen Deutschland-Tarif wie von mir skizziert zu kämpfen? Haltet ihr meine ganze Idee für unsinnig oder habt ihr nur Detailverbesserungen? Erledigt sich das Ganze durch die Einführung von elektronischen Abrechnungssystemen bald von alleine? Ich bin gespannt auf eure Kommentare!

Negative Grenzkosten

Bei der alljährlichen Berechnung der passenden Bahncard ist mir vorhin aufgefallen, dass der Normalpreis mit ICE von NAH nach EE 91, nach ERE (mit ICE bis EE) aber nur 87 Euro beträgt. Weitere Recherchen ergaben, dass Essen anscheinend ein Gravitationszentrum ist, denn Fahrscheine in alle umliegenden Städte kosten, selbst wenn man sie nur über Essen erreicht, weniger. Pfennigfuchsern, die unterwegs in die Ruhrmetropole sind, sei daher geraten, einen Fahrschein bis Gelsenkirchen (83 Euro) zu buchen und das letzte Stück verfallen zu lassen. Der Grund für diese Kuriosität ist unklar, möglicherweise hängt das mit der ermittelten Zahlungsbereitschaft der Fahrgäste zusammen. Sollte die DB diesen Beitrag lesen, so hoffe ich doch sehr, dass der Preis nach Essen gesenkt und nicht die Preise in alle anderen Orte erhöht werden ;).

Nachtrag: Auch dieses Jahr bin ich übrigens mit der Bahncard 25 wieder günstiger gefahren als ich es mit der 50er wäre, wobei die Differenz vorwiegend durch den Preis der Bahncards selbst zustande kommt.
Nachtrag 2: In einer → Diskussion im ICE-Treff finden sich noch weitere Beispiele, in denen die längere Strecke weniger kostet als die kürzere.

Dies & Das

In den letzten Wochen sind mir einige Dinge aufgefallen, die zwar interessant sind, aber nicht für einen ganzen Beitrag reichen:

  • Seit gestern ist der ab 11. Dezember gültige DB-Fahrplan online, und man kann auch Fahrscheine ab diesem Datum buchen. Ich habe das gleich genutzt, um eine Fahrkarte für die Weihnachtsheimfahrt zu buchen. Interessanterweise war schon gestern Vormittag das Angebot an Sparpreisen für den 23.12. stark eingeschränkt: wirklich günstig (25,50 Euro mit Bahncard 25) wäre es nur mit Fahrt über die Rheinstrecke und Ankunft nach 1.00 Uhr. Letztendlich habe ich mich für den ICE um 19.36 ab NAH entschieden, den ich schon häufig benutzt habe. Lieber wäre mir eine Abfahrt zwei Stunden früher gewesen, aber dabei wäre die Ersparnis gegenüber dem Normalpreis vernachlässigbar gering gewesen. Die Rückfahrt habe ich noch nicht gebucht, da der Termin noch nicht feststeht.
  • Wesentliche Änderungen auf den von mir befahrenen Strecken gibt es übrigens zum neuen Fahrplan nicht. Aus NRW ist an Positivem zu berichten, dass die Strecke nach Brilon Stadt reaktiviert wird, im Rhein-Main-Raum die von Darmstadt nach Pfungstadt. Ganz neu ist in Frankreich die LGV Rhin-Rhône, die die Fahrzeiten zwischen Süd- und Ostfrankreich drastisch verkürzt. Ab dem 23. März wird es sogar einmal täglich einen direkten TGV Frankfurt–Marseille geben, der auch die Fahrzeit von Aschaffenburg nach Lyon von 8 bis 10 auf 7:13 Stunden verkürzt. Bereits ab Dezember erreicht man dieselbe Fahrzeit auch mit einer Verbindung über Straßburg, die allerdings viele und knappe Umstiege hat.
  • Wettbewerbsangebote im Schienenfernverkehr werden in der Realität von mehr Fahrgästen angenommen als in rein hypothetischen Studien. Das behauptete vor einiger Zeit ein Artikel* in der Zeitschrift „Internationales Verkehrswesen“. Referenzstrecken: Köln–Amsterdam für die Studie und Köln–Brüssel für die Realität. Was man allerdings nicht bedacht hat: Als „Platzhirsch“ (Incumbent) auf der Strecke gilt der Thalys, als „Konkurrent“ (Entrant) der ICE der DB. Ersterer hat den Nachteil, dass seine Fahrscheine über Köln hinaus nirgendwohin durchtarifierbar sind, so dass für Umsteigeverbindungen immer mindestens zwei zeitgleiche Buchungen mit Verfügbarkeitsabfrage etc. nötig sind (wie bereits beschrieben). Im ICE hingegen lassen sich integrierte Fahrscheine, auch Sparangebote der Deutschen Bahn, von jedem deutschen bis zu jedem belgischen Bahnhof lösen, was ihm einen Teil der zusätzlichen Fahrgäste beschert haben dürfte. Es gilt also: Konkurrenz belebt das Geschäft, aber neue Fernverkehrsangebote werden mit Sicherheit auch an der Kompatibilität der Tarife gemessen.

* Warnecke, C. und Rompf, D.: Bahn frei für den Kunden?, in: Internationales Verkehrswesen 3/2011

La storia infinita

Auch im neuen Jahr will ich fleißig mit dem Zug verreisen: zum Beispiel in der Osterwoche aus der Toskana zurück nach Aschaffenburg (hin fahre ich mit meinen Eltern und meiner Tante im Auto). Dadurch öffnete sich ein weiteres Kapitel der unendlichen Geschichte „internationaler Fahrkartenkauf“: Die DB verkauft ja das „Europa-Spezial Italien“, das allerdings nur dann gilt, wenn innerhalb Italiens nicht umgestiegen wird. Ohne Umsteigen kommt man aber nicht von hinter Florenz bis zur österreichischen Grenze, so dass ich den Fahrschein auf bahn.de erst ab Bologna kaufen konnte.
Für die restliche Strecke verwies man dort auf einen „unbekannten Auslandstarif“, und auch der Computer im Reisezentrum streckte die Waffen. Nun lag es nahe, bei trenitalia.it zu buchen – dort gibt es folgende Möglichkeiten, den Fahrschein zu bekommen: Online-Ticket (nur für Fernzüge), Abholung am Automaten (nur an größeren Bahnhöfen) und Postversand (nur in Italien). Da mein Einstiegsbahnhof ein kleinerer ist und ich in Italien niemanden kenne, blieb mir nichts anderes übrig, als nur ein Online-Ticket für den Fernzugabschnitt Florenz–Bologna zu buchen. Aber auch das scheiterte – nach erfolgreicher Anmeldung – daran, dass meine Kreditkarte aus unbekannten Gründen nicht akzeptiert wurde.
Ich war schon fast davon überzeugt, die Fahrkarte erst am Reisetag kaufen zu können (mit dem Risiko, dass der „Frecciargento“ dann ausgebucht ist), probierte als letzte Idee aber noch die Buchung auf SNCF.fr. Von dort wurde ich auf das wohlbekannte TGV-europe.com weitergeleitet, das mir tatsächlich eine Fahrkarte für diesen Abschnitt verkaufen konnte – sogar zum ermäßigten, aber dafür nicht frei umtauschbaren Preis. Nun fehlt nur noch der Nahverkehrsabschnitt bis Florenz, aber hier sollte es kein Problem sein, die Karte am Reisetag am Automaten zu kaufen. Etwas weniger umständlich hatte ich es mir zwar schon vorgestellt, aber: Eine von Deutschland aus gekaufte französische Fahrkarte für einen italienischen Zug – wenn das mal kein Zeichen für die europäische Einigung ist!

Rhein-Main-Verwirrung (3)

Über das Tarifsystem des RMV hatte ich ja schon den einen oder anderen Artikel geschrieben. Eine Sache hatte ich dabei noch nicht erwähnt: Unter Umständen ist es günstiger, zwei Fahrscheine anstatt eines durchgehenden zu kaufen. Wenn ich von NAH nach Darmstadt fahre, kann ich für die Zugfahrt einen BahnCard-Rabatt nutzen und zahle statt 6,95 Euro nur 5,20. Der rabattierte Fahrschein gilt aber nicht in Bus und Straßenbahn in Darmstadt, so dass ich dafür einen neuen Fahrschein für 1,50 Euro kaufen muss. Macht zusammen 6,70 und damit 25 Cent weniger als die Fahrkarte zum vollen Preis, die auch in den städtischen Verkehrsmitteln in Darmstadt gilt.
Dasselbe gilt auch für eine Fahrt von Aschaffenburg nach Frankfurt, was mir bis gestern gar nicht bewusst war: Zwar muss innerhalb Frankfurts immer die Preisstufe 3 (2,30, außerhalb der Hauptverkehrszeit 2,20) gelöst werden, die Differenz zwischen der normalen Fahrkarte NAH–Frankfurt und dem Fahrschein mit BahnCard-Rabatt ist hier aber größer, nämlich 2,50 Euro.
Groß ist die Ersparnis zwar in beiden Fällen nicht, aber sie zeigt mal wieder die Seltsamkeiten des RMV-Tarifs. Die Anerkennung der BahnCard auch in städtischen Verkehrsmitteln wird wohl ein Wunschtraum bleiben, aber eine Zusammenlegung der Fahrscheine mit und ohne BahnCard zu einem Preis, der in der Mitte dazwischen liegt, würde das Tarifsystem um einiges vereinfachen.

Die Zeitschrift → „Hessenschiene“ stellt in ihrer aktuellen Ausgabe übrigens einige noch krassere Ungereimtheiten im RMV-Tarif dar: beispielsweise Sprünge über mehrere Preisstufen, wenn man nur eine Haltestelle weiter fährt oder die S-Bahn statt des Busses benutzt. Auch das sind Argumente, die für eine Vereinfachung des Tarifs sprechen und die hoffentlich beim RMV auf ein positives Echo stoßen.