In einem Kommentar sprach mein Stammleser Martin eine Forderung an, die in letzter Zeit unter anderem durch die Piratenpartei immer wieder aufkommt: die nach einem kosten- bzw. fahrscheinlosen Nahverkehr. Wie im Kommentar zum Kommentar versprochen, mache ich mir in diesem Beitrag mal ein paar Gedanken dazu.
Hauptargument für den kostenlosen ÖPNV ist meist die Entlastung von Straßen und Umwelt durch verstärkte Nutzung des ÖPNV: wenn die Leute mehr Bus fahren, weil es günstiger ist, fahren sie weniger Auto. Aber stimmt das denn überhaupt? In meinem Brief an den VRR habe ich ja moniert, dass für manche Fahrten die Preise einfach unverhältnismäßig hoch sind, musste dann aber selber zugeben, dass ich nicht weiß, wie oft Leute tatsächlich aus diesem Grund nicht fahren. Die Argumente, die ich in meinem Umfeld am häufigsten gegen den ÖPNV höre, lauten jedenfalls – ob berechtigt oder nicht – eher „dauert zu lange“, „zu viel Umsteigen“ oder „fährt nicht dann, wenn ich will“. Auch ich wäre hier in Aschaffenburg, wo eine Monatskarte im Abo weniger als 30 Euro kostet, bereit, etwas mehr zu bezahlen, wenn ich dafür ein besseres Angebot vor allem in Schwachlastzeiten bekäme.
Hier liegt auch der Pferdefuß des kostenlosen ÖPNV: Kostenlos bedeutet nicht automatisch besseres Angebot – im Gegenteil: Fehlen die Fahrgeldeinnahmen, die ja bei zunehmender Nutzung i.d.R. steigen, so fehlt auch den Aufgabenträgern der Anreiz, mehr Fahrzeuge einzusetzen oder sie abends länger fahren zu lassen. Das gilt besonders, wenn anstatt einer Monatskarte für alle eine reine Steuerfinanzierung eingeführt wird: Steuern sind laut Gesetz nicht zweckgebunden, und das Geld, das heute für den ÖPNV verplant ist, kann morgen schon in der Rentenkasse landen. Natürlich ist der ÖPNV auch heute bereits subventioniert, allerdings ist der Kostendeckungsgrad mit ca. 75% relativ hoch (→ Quelle), und die negativen Effekte dieser relativ geringen Subventionierung sind regelmäßig spürbar, wenn mal wieder in einer Region das Angebot aus Kostengründen zusammengestrichen wird.
Der ÖPNV wäre also noch mehr als bisher ein Spielball der jeweiligen politischen Kräfte, und die Fahrgäste hätten noch weniger Argumente als jetzt, um Kürzungen zu verhindern. Selbst gut angenommene Linien könnten einfach so eingestellt werden, wenn dem Aufgabenträger das Geld fehlt – ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf Qualitätskriterien wie Pünktlichkeit, Sicherheit und Sauberkeit.
Die beiden Referenzstädte für kostenlosen ÖPNV, Hasselt (Belgien) und Templin (Brandenburg) zeigen natürlich, dass das Modell nicht prinzipiell undenkbar ist. In Templin allerdings war der Erfolg zu groß: Die Nutzung der Busse und damit die Kosten nahmen so stark zu, dass doch wieder eine Gebühr (wenn auch nur eine symbolische von 29 Euro pro Jahr für eine Kurkarte) erhoben wird. Auch in Hasselt fahren jetzt deutlich mehr Leute Bus, was allerdings sicher auch an der Umstrukturierung des Netzes gelegen hat, die zeitgleich mit der Abschaffung der Fahrscheinpflicht stattfand. Für beide Städte sind mir keine Untersuchungen darüber bekannt, wie viele der neuen Fahrgäste Umsteiger vom Auto sind.
Hier noch einige Pro-und-Contra-Argumente aus anderen Bereichen: Sozialpolitisch liegt natürlich der Nutzen eines kostenlosen ÖPNV auf der Hand, sofern die Betroffenen nicht „hinten herum“ wieder mehr Geld über Steuern ausgeben. Dieser positive Effekt kann aber auch anders, z.B. durch Sozialtickets, erzielt werden. Undurchsichtige Tarifsysteme sind auf jeden Fall auch ein Problem, das man aber wiederum durch eine radikale Vereinfachung lösen könnte – wobei man gleich auch die Fälle mit abhandeln sollte, in denen die Preise punktuell wirklich zu hoch sind wie für die Fahrt zum Schwimmen nach Dorsten.
Fazit: Kostenloser ÖPNV kann also dort ein nettes Extra sein, wo es einen rührigen Aufgabenträger gibt. Ein umweltpolitischer Effekt ist aber allenfalls dann denkbar, wenn das Angebot so gut ist, dass es Autofahrer zum Umsteigen bewegt. Aber auch dahinter muss man ein Fragezeichen setzen, denn nicht zuletzt stoßen auch Busse und Bahnen noch auf absehbare Zeit jede Menge CO2 und andere Schadstoffe aus, und ob es vor diesem Hintergrund sinnvoll ist, Mobilität völlig kostenlos für die Nutzer zu machen?