(K)Alte Heimat

Von Dienstag bis Sonntag letzter Woche war ich zum zweiten Mal in diesem Jahr in Polen, genauer gesagt in Danzig. Diesmal war ich nicht alleine und mit dem Flugzeug unterwegs, sondern fuhr gemeinsam mit meinem Vater die ganze Strecke mit dem Zug.

Die erste Etappe führte uns mit dem Nachtzug von Dortmund nach Posen. Meine erste Schlafwagenfahrt war relativ unaufregend, und ich konnte dank Ohropax sogar trotz des schnarchenden dritten Passagiers in unserem Abteil recht gut schlafen. Fast pünktlich in Posen angekommen, vertrieben wir uns die Wartezeit im mit „Chill-out-Zone“ beschrifteten Warteraum. 50 Minuten sollte es eigentlich dauern, allerdings wurden für unseren Zug bald 15 Minuten Verspätung angezeigt, die dann auf 40 stiegen. Wir vermuteten den auf allen Fernsehbildschirmen (aber nicht in Posen selbst) zu sehenden Wintereinbruch als Ursache, aber ein des Polnischen mächtiger deutscher Fahrgast klärte uns auf, dass ein Unfall auf der Strecke aus Breslau, wo der Zug herkam, die Ursache war.
Letztendlich fuhr der Zug mit ca. +50 ein, und wir mussten aufpassen, in den richtigen Zugteil zu kommen: der hintere fuhr nämlich nach Stettin weiter, während der vordere unser Zug nach Danzig war. Bald ging die nicht allzu schnelle Reise los: Bei einer planmäßigen Fahrzeit von 5 Stunden und 38 Minuten für 313 km lag die Geschwindigkeit nie über 120 km/h, auf einem recht langen Streckenabschnitt sogar nur um die 50. Trotzdem machte der Zug die Verspätung teilweise wieder wett und kam mit nur noch +15 in Danzig an, wo uns nicht nur winterliche Temperaturen, Regen und Sturm, sondern auch eine verwirrende Vielfalt von Buslinien und -haltestellen begrüßte. Eine Linienübersicht oder englischsprachiges Personal gab es nicht, so dass wir erst nach dem Kauf eines Stadtplans und einigem Suchen entlang der Straße vor dem Bahnhof herausfanden, welche Linien uns zum Hotel brachten.

Die drei Tage in Danzig brachten außer besserem, weiterhin kaltem Wetter auch einige interessante ÖPNV-Erfahrungen: zum Beispiel die SKM, einen S-Bahn-artigen Zug, der Danzig, Zoppot und Gdingen sowie die Umgebung dieser „Dreistadt“ miteinander verbindet. Außerdem machten wir einen Ausflug nach Soldau (Działdowo), der Kleinstadt in Masuren, aus der meine Großeltern stammten. Da Soldau Haltebahnhof der (reservierungspflichtigen) Expresszüge zwischen Danzig und Warschau ist, ist es sehr leicht mit dem Zug zu erreichen.
Interessant fand ich übrigens, dass in Polen nicht die Gleis-, sondern die Bahnsteignummern auf den Abfahrtsplänen angegeben sind und letztere nicht viel mit ersteren zu tun haben. In Danzig zum Beispiel befinden sich an Bahnsteig (peron) 2 die Gleise (tor) 1 und 2, an Bahnsteig 1 dagegen die Gleise 6 und 8 (im → ICE-Treff mehr zu der Logik). Welches der beiden Gleise am Bahnsteig nun das richtige ist, sieht man entweder an der Anzeige oder bei der Einfahrt des Zuges.

Am Samstag Nachmittag war dann die Rückfahrt angesagt: Wieder setzten wir uns in ein Abteil (Großraumwagen sind in Polen im Fernverkehr unbekannt). Im Gegensatz zu den Expresszügen hatte unser Zug, der als Pospieszny (Schnellzug) lief, Achter-Abteile, die aber nicht reservierbar und zum Glück nie voll besetzt waren. Diesmal dauerte die Fahrt laut Plan nur 4:36 Stunden, und wie auch bei den Fahrten nach und von Soldau konnte der Zug die leichte Verspätung, die er bei der Abfahrt hatte, bis zu unserem Zielbahnhof ausgleichen.

Nach etwas über einstündigem Warten in Posen gab es dann noch einen kleinen Schock in der Abendstunde: Unser Schlafwagen hatte die Nummer 180, also stiegen wir in den unnummerierten Wagen neben der 179 ein. Dort war allerdings alles verschlossen. Eine Nachfrage beim Schaffner ergab, dass dieser Wagen „kaputt“ sei und ein Sitzwagen als Ersatz diene. Die Aussicht auf eine Nacht im Sitzen führte zu einer weiteren Nachfrage beim Schaffner, die ergab, dass der kaputte Wagen ein Liegewagen war – der Schlafwagen befand sich in hervorragendem Zustand und korrekt nummeriert daneben.

Also konnten wir uns wie geplant zur Ruhe betten – und verpassten dadurch in Hannover eine bahntechnische Meisterleistung: Der Zug fährt ab Warschau mit drei Zugteilen nach Amsterdam, Basel und München und kommt in Amsterdam mit drei Zugteilen aus Warschau, Kopenhagen und Prag an. Dreh- und Angelpunkt für die Neuzusammenstellung der Züge ist Hannover, wo jede Nacht ein beträchtlicher Rangieraufwand stattfinden muss, den ich aber – wie die meisten Fahrgäste – selig schlafend erlebt habe. Laut Fahrkarte hätten wir schon zwei Stunden später, nämlich um 4.50 Uhr in Dortmund, aussteigen müssen – wir konnten die Schaffnerin aber davon überzeugen, uns bis Duisburg schlafen zu lassen. Diese scheinbar kurze Entfernung bringt eine über zwei Stunden längere Schlafzeit, da der Zug zwischen EDO und EDG einen Umweg über Wuppertal und Köln fährt. In KK macht er nicht etwa Kopf, sondern fährt (vermutlich) über die Südbrücke und dann über Gütergleise zur Düsseldorfer Strecke. Nach einem dreiviertelstündigen Aufenthalt in Duisburg war dann das Abenteuer Polen-Reise um 8.35 Uhr in ERE beendet.

Ein kleines Abenteuer ergab sich für mich noch auf der Rückfahrt nach NAH nach einer Verschnaufpause in Marl und dem Treffen mit einer Freundin in Köln: Der ICE in KK stand nicht auf Gleis 4 bereit, sondern auf Gleis 6. Dort angekommen, standen die potenziellen Fahrgäste vor einem leeren und verschlossenen Zug, bis eine Ansage kam, dass dieser Zugteil genau das bleiben würde und wir bitte in den anderen Zugteil einsteigen sollten. Dieser war erstaunlich leer, so dass ich am Anfang sogar die Lounge für mich alleine hatte, und mit etwa +10 ging es dann wiederum über die Südbrücke (was nur an diesem Tag planmäßig war). Die Verspätung blieb ebenso wie der „Geister“-Zugteil bis NAH erhalten, sonst gab es aber keine weiteren Komplikationen, so dass ich gegen 21.45 Uhr müde ins Taxi sinken konnte.

Für die Statistik: Die Länge der Hinfahrt ergab einen neuen Rekord; wenn ich die Anreise aus Aschaffenburg mitrechne, liegt er bei 21 Stunden und 15 Minuten. Und für die A-bis-Z-Liste gibt es ebenfalls einen neuen Eintrag:

Gdańsk Główny–Gdynia Główny SKM

Wettbewerb im Fernverkehr

Warum gibt es in Deutschland eigentlich kaum Fernverkehr auf der Schiene, der nicht von der Deutschen Bahn betrieben wird? Diese Frage wird mir als Eisenbahnfreund immer wieder gestellt, und auch mit bahninteressierten Freunden habe ich sie schon diskutiert. Es liegt jedenfalls nicht etwa daran, dass die DB ein Monopol im juristischen Sinne hätte. Seit der Bahnreform 1994 kann jedes Unternehmen, das die notwendige Anerkennung als Eisenbahnverkehrsunternehmen hat, Fernzüge fahren lassen. Allerdings muss das – wie bei der DB auch – eigenwirtschaftlich passieren, d.h., es gibt keine staatlichen Subventionen, sondern die Einnahmen dürfen nur aus dem Fahrkartenverkauf stammen.
Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Professor Aberle, eine Koryphäe der Verkehrswissenschaft, fasst in einem Kommentar* einige Gründe für den schwachen Wettbewerb im SPFV zusammen:

  • Die notwendigen Fahrzeuge sind teurer als im Nahverkehr: Lok und Wagen, die 200 km/h fahren können, sind teurer als ein Dieseltriebwagen mit einer Spitzengeschwindigkeit von 80 km/h. Außerdem gibt es keine Subventionen für die Fahrzeugbeschaffung, und die DB verschrottet alte Fernverkehrsfahrzeuge lieber, als sie an Wettbewerber zu verkaufen. Ähnlich sieht es bei den notwendigen Werkstätten aus.
  • Mit der BahnCard hat die DB ein sehr wirksames Kundenbindungssystem, von dem Wettbewerber nicht profitieren können. Selbst wenn sie die BahnCard aus Marketinggründen anerkennen, bekommen sie keinerlei Vergütung dafür von der DB oder öffentlichen Stellen. Auf den DB-Konkurrenten InterConnex wurde von DB und Land Mecklenburg-Vorpommern sogar Druck gegen eine Anerkennung der BahnCard ausgeübt (so schreibt es jedenfalls die → Wikipedia).
  • Es ist sehr schwierig, passende so genannte Fahrplantrassen (das Pendant zu Slots im Luftverkehr) zu bekommen. Auf vielen Strecken gibt es nur eine Möglichkeit pro Stunde, einen schnellen Zug fahren zu lassen, und diese ist oft bereits von der DB belegt. Gibt es noch weitere schnelle Trassen, liegen sie oft so, dass es an den Knotenpunkten keine guten Umsteigeverbindungen gibt – da die wenigsten potenziellen Fahrgäste an den Hauptbahnhöfen wohnen, würde der Zug am Fahrgastpotenzial vorbei fahren.
  • Dort, wo es keine Fernverkehrszüge (mehr) gibt, sind oder waren sie meistens für die DB nicht wirtschaftlich. Wegen der Markteintrittsbarrieren (siehe oben) ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich der Betrieb für einen Wettbewerber erst recht nicht lohnt. Eine der wenigen Ausnahmen ist der → InterConnex zwischen Rostock und Leipzig, der einmal täglich zu deutlich niedrigeren Preisen als die DB fährt.

Diese Lage auf dem Fernverkehrsmarkt hat schon zu Forderungen geführt, ähnlich wie im Nahverkehr auch den Fernverkehr zu subventionieren. In seinem Kommentar erteilt Aberle dem eine klare Absage („abstruser Vorschlag“). Ich selber bin da etwas hin- und hergerissen, bin aber der Meinung, dass die DB durch ihre vom Staat „geerbten“ Fernverkehrszüge einen klaren Wettbewerbsvorteil hat. Und Politiker, die sich über einen weggefallenen Intercity-Halt in ihrer Stadt aufregen, sollten so konsequent sein, für dessen Erhalt auch etwas springen zu lassen. Andererseits können halbleere Fernzüge weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll sein. Die Wahrheit liegt also – wie so oft – irgendwo in der Mitte.

* Aberle, Gerd: ICE-Verkehr vom Steuerzahler zu finanzieren?, in: Internationales Verkehrswesen 9/2009

Fernbus ja oder nein?

Wie ja vielleicht einige Leser wissen, gibt es in Deutschland – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern – kein nennenswertes nationales Fernbusnetz. Das liegt daran, dass Fernbuslinien in der Regel nur genehmigt werden dürfen, wenn es keine parallele Bahnverbindung gibt, und die ist in Deutschland meistens vorhanden. Sinn der Sache ist es, die Eisenbahn vor Konkurrenz durch den Bus zu schützen. Als Eisenbahn- und Umweltfreund hatte ich dagegen bisher nicht viel einzuwenden, aber in einem Artikel* der Zeitschrift „Internationales Verkehrswesen“ stellt sich die Situation jetzt anders dar.
Die Autoren der dazu gehörigen Studie haben untersucht, wie der Fernverkehrsmarkt über alle Verkehrsträger in Deutschland aussähe, wenn es ein Fernbusnetz gäbe. Dabei werden die beiden Optionen niedrige und hohe Netzdichte betrachtet. Als Referenzen dienen unter anderem die Erfahrungen mit Fernbussen in anderen Ländern (Großbritannien, Schweden, USA) sowie eine Umfrage, die die Präferenzen der Nutzer zwischen den einzelnen Verkehrsmitteln (Auto als Fahrer, Auto als Beifahrer, Flugzeug, Bus, Zug) ermittelt.
Überraschendes Ergebnis: Der Markt für den Bus würde sich vorwiegend aus jetzigen Autonutzern rekrutieren. In einem Szenario hoher Netzdichte läge der Marktanteil des Busses bei 27,7%, während 19,4% der Reisenden Zug fahren würden. Im aktuellen Modal Split hat der Eisenbahnverkehr einen Anteil von 18%, so dass es keine Verdrängung gäbe. Das liegt vermutlich daran, dass der Bus Marktanteile vor allem unter preissensiblen Kunden gewinnen würde, die sich eine Bahnfahrt momentan überhaupt nicht leisten können oder wollen.
Auch aus Umweltsicht schneidet der Bus gut ab: die so genannten externen Kosten, die neben den Umweltschäden z.B. auch die Kosten für Lärm und Unfälle enthalten, liegen bei einem zu 44% besetzten Bus auf gleicher Höhe wie bei der Bahn, bei höherer Besetzung noch darunter.
Die Erfahrungen aus den anderen Ländern zeigen auch, dass sich mit Fernbuslinien eine Menge Geld verdienen lässt. Über den Wettbewerb mit der Bahn liefert der Artikel einige Beispiele aus Schweden: Hier gab es zwar einige Angebotsreduzierungen auf der Schiene, die dann aber durch ein verbessertes Busangebot ausgeglichen wurden. Auf anderen Strecken, auf denen die Konkurrenz durch den Bus groß ist, hat die Bahn ihre Preise gesenkt, um mithalten zu können.

Fazit: Die Einführung eines Fernbusnetzes in Deutschland hätte aus Sicht eines Eisenbahnfreundes nicht immer erfreuliche Folgen, verkehrs- und sogar umweltpolitisch wäre sie allerdings offensichtlich zu empfehlen.

*Walter, M. et AL.: Potenzial des Fernlinienbusverkehrs in Deutschland. Chancen für Umwelt, Mobilität und Wettbewerb, in: Internationales Verkehrswesen 4/2009

Blick in die Vergangenheit

Wie zwei Beiträge weiter unten schon angedeutet, habe ich mir am Sonntag im DB-Museum das Kursbuch Westfalen-Ruhr vom Winter 1981/82 gekauft und mich auf der Rückfahrt auf die spannende Reise in die Vergangenheit der nordrhein-westfälischen Bahn gemacht. Hier das Interessanteste am Bahn- und Busverkehr von 1981:

  • Im Fernverkehr fuhren die Intercitys im wesentlichen nicht nur auf den gleichen Linien wie heute durch das Kursbuchgebiet, sondern auch in der gleichen Zeitlage: Kurz nach der vollen Stunde in Münster ab, eine halbe Stunde später in Dortmund mit dem Ruhr/Wupper-Korrespondenzanschluss etc. Außer den ICs, die damals noch relativ neu waren (seit 1971 in der ersten, seit 1979 auch in der zweiten Klasse), waren noch jede Menge unvertaktete D-Züge unterwegs, unter anderem auch mehrmals täglich in die DDR. Vereinzelt gab es auch noch die erstklassigen TEE-Züge, dafür aber noch keinen Eurocity. Stattdessen fuhren ICs ins Ausland, z.B. nach Amsterdam und Paris.
  • Neben den D-Zügen gab es auch noch die so genannten Heckeneilzüge, die einmal am Tag auf Nebenstrecken und mit vielen Halten größere Städte verbanden. Auf der KBS 300 Köln–Duisburg–Hamm finden sich z.B. die Laufwege Koblenz–Wilhelmshaven, Koblenz–Dortmund, Kleve–Oberhausen, Aachen–Bremen–Cuxhaven, Köln–Amsterdam und Mönchengladbach–Oberhausen, um nur die Eilzüge einer Doppelseite zu nennen.
  • Im Nahverkehr war im Gegensatz zum IC-Netz Taktverkehr noch weitgehend unbekannt – so sehr, dass die wenigen Strecken mit „Nahverkehr im Takt“ im Linienplan besonders gekennzeichnet waren. Auf den anderen Strecken fuhren die Züge so, wie es Nachfrage, Streckenbelegung und Umlaufplan erlaubten. Für Bösensell an der Strecke Münster–Essen, das heute im Halbstundentakt bedient wird, bedeutete das z.B. werktags keinen Zug zwischen 6.45 und 9.26 Uhr. Dann fuhren bis 12.28 Uhr wieder alle Züge durch, erst am Nachmittag gab es fast stündlich eine Verbindung. Der letzte Zug fuhr um 0.09 – allerdings nur an Werktagen nach Sonn- und Feiertagen …
  • Auf vielen Strecken, die heute längst vergessen sind, fuhr zumindest noch der so genannte Gesetzeszug – ein oder zwei Zugpaare am Tag, zu deren Betrieb die Deutsche Bundesbahn verpflichtet war. Meistens fuhr morgens ein Zug hin und nachmittags zurück (wie z.B. auf der Strecke Duisburg-Wedau–Düsseldorf). Es gab aber auch die Variante, dass es in beide Richtungen nur morgens Züge gab, wie zwischen Oberhausen und Duisburg-Walsum. Wenn man annimmt, dass die meisten Fahrgäste, die morgens hin fahren, nachmittags zurück fahren wollen, mag dieses Betriebskonzept zwar umlauftechnisch sinnvoll, aber nicht nachfrageorientiert sein.
  • Auch die Wochenendruhe gehört zum Glück inzwischen weitgehend der Vergangenheit an, war damals aber noch auf vielen Nebenstrecken die Regel. In ländlichen Gebieten – etwa zwischen Münster und Coesfeld – gab es auch die Variante einer Betriebsruhe von Samstagmittag bis Sonntagmittag. Beides gab es auch noch zu Beginn meiner „aktiven Kursbuchlesezeit“ bis zur Einführung des ITF.
  • Das S-Bahn-Netz bestand 1981 nur aus den Linien S1 Düsseldorf–Bochum, S3 (ohne Hattingen Mitte), S6 Essen–Langenfeld und S7. Interessanterweise fuhren die meisten dieser Linien schon in einer Zeitlage, die bis zur Einführung des ITF 1998 bestehen blieb und die mir also auch noch in guter Erinnerung ist. Einige andere der heutigen Linien wurden schon im Vorlaufbetrieb befahren (im oben erwähnten „Nahverkehr im Takt“, z.B. die Vorläufer der S4 und der S9 Bottrop–Wuppertal). Sowohl bei der S-Bahn als auch beim Vorlaufbetrieb gab es oft Abweichungen vom Takt. Extremes Beispiel ist die S1 zwischen Düsseldorf und Duisburg-Großenbaum, bei der der Takt nur eine grobe Richtschnur für die tatsächlichen Abfahrtszeiten darstellt. Der Grund ist wohl die Mitbenutzung der Ortsgleise mit unvertakteten anderen Zügen.
  • Vor 27 Jahren gab es auch noch wesentlich mehr Bahnbuslinien als heute. Die KBS 3383 (VRR-Linie 189) zum Beispiel fuhr von Velbert über Essen nach Gladbeck. Von dort gab es zwei Äste nach Dorsten (im Stundentakt) und über Gelsenkirchen-Buer und Marl nach Haltern (im Stunden- bis Zweistundentakt). Bemerkenswert ist die Fahrzeit von 18 Minuten zwischen Buer Rathaus und Marl Mitte, die mit dem heutigen Verkehrsaufkommen nicht mehr machbar wäre – der heutige 222 braucht bei hoher Verspätungsanfälligkeit 26 Minuten. Die alte 189 gehört zu den Linien, von denen noch am meisten geblieben ist: bis auf den AST Gladbeck–Haltern fahren auf allen Streckenabschnitten noch heute Linien der DB-Tochter BVR. Ein Beispiel für eine Linie, von der überhaupt nichts mehr übrig ist, ist die 3300 (VRR 591) Hagen–Hattingen–Gelsenkirchen–Dorsten–Borken–Südlohn-Oeding mit zweieinhalb Fahrtenpaaren pro Tag und einer Gesamtfahrzeit von über vier Stunden pro Richtung. Absolut kurios sind die beiden Linien, die jeweils mit einem Fahrtenpaar pro Tag Ruhrgebiet und Westerwald verbanden: Die Verkehrsbedeutung der Linien Essen–Bad Marienberg und Hattingen–Weilburg versinkt im Dunkel der Geschichte.
  • Gedruckt sind die Fahrplantabellen in einem altmodisch wirkenden Satz (handgesetzt?). Nur die Fahrpläne der Linien S1 und S3 sowie einiger „Nahverkehr-im-Takt“-Linien sind in moderner Schrift ähnlich der heutigen gesetzt (vielleicht wurden da schon Computer eingesetzt?).

Soweit mein Streifzug durch die Bahnlandschaft am Ende meines zweiten Lebensjahrs. Wenn jemand von euch ein paar Jahre mehr auf dem Buckel hat, kennt er vielleicht einiges noch aus eigener Erinnerung und kann noch ein paar Ergänzungen liefern? Die Kommentarfunktion freut sich auf eure Beiträge.

Mitfahrzug

Die → Leicesterschwester hat mich auf etwas Interessantes aufmerksam gemacht: den → Mitfahrzug. Ins Leben gerufen hat das Angebot die Internationale Gesellschaft für Eisenbahnverkehr (IGE). Sie bietet häufig Sonderzüge in ganz Deutschland und den Nachbarländern an und will so die dazugehörigen Leerfahrten auslasten. Dementsprechend ist das Angebot sehr überschaubar, aber auch sehr günstig, wenn man zufällig ein Ticket für eine der angebotenen Strecken braucht.

Nachtrag (März 2010): Da die Domain mitfahrzug.de seit längerem nicht erreichbar ist, gehe ich davon aus, dass es auch den Mitfahrzug nicht mehr gibt.

Typisch deutsch – typisch belgisch?

Am Samstag war es soweit: ich ging auf die lange geplante Fahrt nach Brügge. Bis Köln ist nichts Bloggenswertes passiert, interessant wurde es erst, als von dort der Thalys endlich losfuhr (nachdem das Einsteigen aller Fahrgäste immerhin etwa zehn Minuten gedauert hatte).
Gleich nach der Abfahrt kam die viersprachige Durchsage, dass man seinen Fahrschein doch bitte immer im Zug mit sich tragen sollte. Diese Regelung mag für Fahrgäste un- und für die Bahngesellschaft praktisch sein (und ich muss gestehen, dass ich mich selten daran halte). Ein Fahrgast neben mir kommentierte es jedoch mit „Typisch deutsch“ – für einen Zug, der zu 62% in französischer und zu 28% in belgischer Hand ist, eine bemerkenswerte Äußerung.

Auf der Strecke Köln–Brüssel hatte sich seit meiner letzten Fahrt im Jahr 2001 eine Menge geändert: Der neue Aachener Buschtunnel ist fertig und die Bahnhöfe Lüttich-Guillemins und Löwen sind komplett neu gebaut, vor allem aber ist die NBS/ABS Lüttich–Brüssel inzwischen in Betrieb. Bis Löwen verläuft sie komplett auf eigener Trasse, dahinter ist die vorhandene Strecke viergleisig ausgebaut, wobei der Fernverkehr interessanterweise auf den inneren Gleisen fährt.

In Brüssel angekommen, bekam ich dann den Beweis dafür, dass auch Verspätungen mit schlechter Informationspolitik nicht „typisch deutsch“ sind: Der Zug nach Ostende war mit +15 angekündigt. Nach insgesamt einer halben Stunde Warten und Ansagen auf französisch und flämisch mit französischem Akzent, die ich leider kaum verstanden habe, kam schließlich ein Zug nach Knokke, der auch über Brügge fuhr. Mein „eigentlicher“ Zug hatte, wie ich dann an der Bahnsteiganzeige in Gent sehen konnte, inzwischen 42 min Verspätung.

Am nächsten Tag war ich dann schon wieder in Brüssel, diesmal als Ausflug von Brügge aus. Auf dem Weg zum Atomium wollte ich eine U-Bahn fotografieren und wurde sofort von einem Sicherheitsmann angesprochen und darauf hingewiesen, dass das nur mit Genehmigung erlaubt sei. Die Begründung war nicht etwa, dass der Blitz den Fahrer irritieren könnte (das hätte ich noch eingesehen), sondern, dass es sich schließlich um Privatgelände handele. Belgische Verkehrsbetriebe scheinen aber sowieso etwas eigen zu sein, denn bis auf die wallonische TEC haben alle eine Klausel, dass Links auf ihre Seiten nur nach Genehmigung erlaubt sind. Ob das eine gute Werbung und rechtlich haltbar ist, sei dahingestellt, jedenfalls gibt es so eben von meiner Website aus keinen Link.

Die weitere Reise konnte ich dann aber ohne Komplikationen genießen. Auf der Rückfahrt aus Brügge fiel mir auf, dass die alte Strecke Lüttich–Aachen, die Thalys und ICE benutzen, an zwei Stellen die Neubaustrecke kreuzt und letztere schon komplett ausgestattet aussah. Nach meinen Recherchen ist das kein Wunder: die Strecke ist seit Dezember 2007 fertig und wird nur deswegen nicht benutzt, weil weder ICE noch Thalys das erforderliche ETCS haben.

Das meiste ist also absolut glatt gegangen, aber es gibt vieles, was im europäischen Eisenbahnbau und -betrieb noch im Argen liegt. Nur merkt man bei einer Fahrt über die Grenze ziemlich schnell, dass davon herzlich wenig „typisch deutsch“ oder „typisch belgisch“ ist …

Betriebsleitstelle der DB Fernverkehr

Zum zweiten Mal in diesem Jahr war ich gestern bei einer Veranstaltung der DVWG (inzwischen überlege ich, Mitglied zu werden). Diesmal haben wir die Betriebsleitstelle von DB Fernverkehr am Galluspark in Frankfurt besichtigt. Natürlich wäre ich am liebsten gleich in die Leitstelle hineinspaziert, aber erst mal gab es einen Vortrag, damit wir überhaupt verstehen konnten, was wir sehen würden.

Zunächst mal gibt es nicht nur eine Leitstelle, sondern mehrere, die horizontal und vertikal organisiert sind: Es gibt Leitstellen von DB Netz, Regio, Fernverkehr und Railion, die jeweils für ihren eigenen Bereich entscheiden können. Alle Bereiche haben regionale Leitstellen, die für die jeweilige Region entscheiden können, und eine bundesweite, die überregional entscheidet. Beim Fernverkehr betrifft das z.B. die Entscheidung, ob ein Zug länger als fünf Minuten auf einen Anschluss warten soll; unter 5 min können die Regionen entscheiden.

Die zentralen Leitstellen von DB Netz, Fernverkehr und Railion befinden sich alle im selben Großraumbüro in Frankfurt. Das führt zu der paradoxen Situation, dass zwar oft der „kurze Dienstweg“ zwischen Netz und den EVU für Synergieeffekte sorgt, andererseits bestimmte Infos vom Netz nicht an die EVU weitergegeben werden dürfen (z.B., wer der Verursacher einer Störung ist).

Die Möglichkeiten der Fernverkehrsleitstelle sind vielfältig: Bei Störungen kann z.B. einer der Ersatzzüge gefahren werden, die an neun zentralen Stellen im Netz stationiert sind. Interessanterweise gehören Hamburg und München nicht dazu, weil dort durch die ICE-Bw immer genug Ersatzzüge zur Verfügung stehen sollten. Möglich ist auch, den Laufweg der Züge zu verlängern, wenn es z.B. keinen fahrplanmäßigen Anschluss mehr gibt. Auch zusätzliche Halte, das Abwarten von Anschlüssen etc. sind möglich, wobei die meisten dieser Regelungen bei DB Netz beantragt werden müssen. Auch für einen Ersatzzug muss natürlich eine eigene Fahrplantrasse bestellt und bezahlt werden. Für diese Kosten kommt übrigens unabhängig vom Verursacher der Störung immer DB Fernverkehr auf.

Danach ging es dann endlich in die eigentliche Leitstelle. Dort sitzen Disponenten mit verschiedenen Zuständigkeitsbereichen (z.B. Bordtechnik nach Baureihen, Zugbetrieb nach Regionen) an Fünffach-Monitoren, an denen sie nahezu alle Daten aus dem Betrieb abrufen können: die genaue Soll- und Ist-Vorbeifahrt bei allen Betriebsstellen, die Anschlüsse auf dem weiteren Laufweg, die Anzahl der umsteigenden Fahrgäste mit Zugbindung, Störungsmeldungen aller Art vom Zugpersonal etc. Trotz des Vortrages fühlten wir uns erst mal ziemlich erschlagen von der Menge an Daten und der Routine der Disponenten, die uns aber sehr freundlich und geduldig alles erklärten. Da es auf der Strecke Hanau–Fulda gerade eine Streckensperrung gab, haben wir eine Menge Störungsmanagement zu sehen bekommen. Und auch die fünf Fahrgäste aus Prag, deren Anschluss nach Kiew in Berlin gefährdet war, haben die Disponenten beschäftigt – man will natürlich die Züge nicht zu lange warten lassen, aber auch eine Hotelübernachtung nach Möglichkeit vermeiden.

Alles in allem ein sehr interessanter Blick hinter die Kulissen. Und auf dem Rückweg habe ich dann gleich die Auswirkungen der Leitstellenarbeit erlebt, als der RE nach Gemünden ab Großkrotzenburg auf dem Gegengleis fuhr, um sich „fliegend“ vom verspäteten IC überholen zu lassen.

Nebenbahnromantik

Zum 75. Geburtstag meiner Tante in Korbach habe ich es mir natürlich nicht nehmen lassen, hin und zurück mit dem Zug zu fahren. Und damit es richtig interessant wurde, habe ich hin eine Fahrkarte über Kassel und zurück eine über Frankenberg gekauft.

Auf dem Hinweg kam also als Kontrast zur ICE-Strecke Fulda–Kassel mit ihren -zig Tunneln und Talbrücken und den menschenleeren Überholungsbahnhöfen die Strecke Kassel–Korbach, die ab Volkmarsen erst 1998 reaktiviert worden ist. Da ich die stillgelegten Gleise jahrelang vom elterlichen Auto aus betrachtet habe, hat mich die Fahrt natürlich besonders gefreut. Spannend ist vor allem die kurvenreiche Trassierung durch die recht abwechslungsreiche Landschaft. Ungesicherte gibt es auch, allerdings deutlich weniger als zwischen Münster und Warendorf, da die Strecke kaum parallel zu Straßen verläuft. Davon abgesehen sind Strecken- und Fahrzeugtechnik auf dem neuesten Stand, es fahren die Kurhessenbahn mit GTW 2/6 (BR 646) und die Regiotram mit Hybridfahrzeugen (BR 689).
Die Fahrt endete in Korbach Süd direkt bei meiner Tante um die Ecke. Seit der Stilllegung der Strecken Korbach–Bad Wildungen und Korbach Süd–Herzhausen wirkt dieser Hp reichlich verwunschen, wird aber trotzdem stündlich angefahren.

Die Rückfahrt begann mit einem Bus nach Frankenberg. Die Besetzung dieser Fahrt (ich war größtenteils der einzige Fahrgast) liefert kein Argument für die Reaktivierung der Bahn, wohl aber die Linienführung der Busse. Die fahren nämlich über die ausgebaute B 252 und machen nur Stichfahrten in die Ortschaften, die also mit den Bahnhöfen sicher nicht schlechter erreicht werden. Ab Frankenberg herrscht dann mit einem 628 noch größere Nebenbahnromantik als auf der Hinfahrt, da Strecke und Bahnhöfe weit weniger gut in Schuss sind als zwischen Kassel und Korbach.
Ab Marburg eine kurze Episode mit dem IC: Leider hat er fünf Minuten Verspätung, was genau meiner Übergangszeit in Friedberg entspricht. Natürlich gibt es die sonst gewohnten Ansagen im Zug ausgerechnet diesmal nur sehr spärlich: Gießen wird überhaupt nicht angesagt, und in Friedberg fehlt der Hinweis darauf, welche Anschlusszüge erreicht werden. Dass mein Zug wartet, erfahre ich also erst auf dem Bahnsteig.
Für den Abschnitt Friedberg–Hanau hatte ich eigentlich damit gerechnet, dass er ebenfalls zur Überschrift passt. Aber obwohl die Strecke mit GTW 2/6 der HLB bedient wird (und am Wochenende sogar der Betrieb ruht), ist sie eine zweigleisige, elektrifizierte Hauptbahn, die hauptsächlich eine Ostumgehung Frankfurts für Güterzüge darstellt. Übrigens erreichen wir Hanau trotz der verspäteten Abfahrt pünktlich (allerdings dauert die Fahrt an Samstagen planmäßig sowieso vier Minuten weniger, so dass vermutlich ein Puffer im Fahrplan ist).

Alles in allem also ein Wochenende, das sich auch aus bahntechnischer Hinsicht gelohnt hat. Und für die A-bis-Z-Liste gibt es gleich drei neue Einträge:

Kassel-Wilhelmshöhe–Korbach Süd RE
Frankenberg–Marburg RB
Friedberg–Hanau HLB

Kurz- und langfristige Entwicklung im Angebot der DB Fernverkehr

Diesen Titel trug der erste Teil eines Vortrags der DB für das Junge Forum der DVWG (Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft), den ich mir am Donnerstag – obwohl kein DVWG-Mitglied – in der DB-Zentrale in Frankfurt angehört habe. Im Einzelnen ging es um die Entwicklung des DB-Fernverkehrs bis 2020. Allzu viel Neues habe ich dabei nicht erfahren, denn es ging vorwiegend um Neu- und Ausbaustrecken, deren Bau schon ebenso lange geplant wie umstritten ist – Beispiele sind Stuttgart 21 oder die NBS Rhein-Main–Rhein-Neckar. Letztere wird allgemein als wichtiger Lückenschluss zwischen den NBS Köln–Rhein-Main und Mannheim–Stuttgart gesehen, weswegen hier nach der Fertigstellung auch eine enorme Zunahme der Nachfrage angenommen wird.

Aber auch auf die kurzfristigen Planungen zum Fahrplan 2007/08 ging die Referentin Frau Warnecke ein, wie z.B. auf den ICE-T-Einsatz nach Österreich. Das Einzige, was hier für mich neu (und überraschend) war, ist der geplante Einsatz von ICE-TD-Zügen über die Vogelfluglinie. Dank des billigen dänischen Diesels sollen die eigentlich von der DB extrem ungeliebten Züge ab dem nächsten Jahr hier eine Renaissance erleben.

Die Diskussion nach dem Vortrag war ein herrliches Beispiel für die Verwobenheit von Verkehrs- und Regional- bzw. Lokalpolitik. Offensichtlich waren einige (ehemalige) Funktionsträger – mehr oder weniger privat – anwesend, die gleich die Frage aufbrachten, ob der Frankfurter Hbf denn in den Planungen abgehängt werde? Die klare – und logische – Antwort der DB: Wenn, wie von der Stadt Frankfurt wohl zu Recht angegeben, tatsächlich ein deutliches Fahrgastpotenzial am Hbf vorhanden ist, dann kann es sich die DB auch nicht leisten, dort vorbeizufahren. Dies schließt natürlich nicht aus, dass Züge, die durch wachsende Nachfrage zukünftig neu eingeführt werden, den Hbf aus Gründen des Betriebsablaufs und des Marketings nicht anfahren (ebenso übrigens auch die Argumentation für Mannheim). Der Alternativvorschlag der Stadt, statt des Hbfs den Ostbahnhof anzufahren, ist für die DB erst interessant, wenn dort auch durch mehr Bebauung oder bessere ÖPNV-Anbindung ein Fahrgastpotenzial entsteht – auf „blauen Dunst“ wird DB Fernverkehr als eigenwirtschaftliches Unternehmen den Ostbahnhof sicher nicht anfahren. Interessanterweise trat die für mich – und einige andere Teilnehmer – naheliegende Lösung, mehr Züge über den Südbahnhof zu leiten, bei der Diskussion völlig in den Hintergrund. Diese musste aber sowieso stark verkürzt werden, um noch Zeit für den zweiten Teil des Vortrags zu haben.