In der letzten Folge hatte ich von Plymouth aus vier von fünf im Personenverkehr bedienten Nebenstrecken in Cornwall befahren und dabei an meine Familienurlaube als Schüler zurückgedacht. Heute soll es nun von Plymouth zum ersten Mal nach Wales gehen, genauer gesagt nach Swansea. Dort will ich einen Freund und seine kleine Tochter treffen und mit ihnen am nächsten Tag wieder das grüne Herz der Insel erkunden, diesmal auf der Heart of Wales Line. An deren Endstation Shrewsbury will uns dann unsere gemeinsame Freundin abholen.
Die Verbindung recherchiere ich im DB Navigator, der praktischerweise auch die britischen Zugverbindungen kennt, allerdings ohne Echtzeitdaten. Also erfahre ich erst am Bahnsteig, dass mein CrossCountry-Zug leicht verspätet ist. Recht voll ist er auch, aber ich finde noch einen Sitzplatz neben einem Mann, der von der Verspätung leicht genervt ist. Wesentlich größer wird sie aber nicht, und so kann ich die Fahrt an der Sea Wall entlang entspannt genießen, ohne mir Sorgen um meinen Umstieg machen zu müssen. Der findet nicht, wie ich erst dachte, in Bristol Temple Meads, sozusagen dem Hauptbahnhof, statt, sondern in Bristol Parkway. Der Begriff „Parkway“ wird in Großbritannien für außerhalb der Stadt liegende Bahnhöfe benutzt, deutsche Pendants wären wohl Limburg Süd oder vielleicht Kassel-Wilhelmshöhe.
In Bristol Parkway angekommen, wundere ich mich über die Oberleitung im Bahnhof. Nachher recherchiere ich, dass die Great Western Railway bereits seit 2020 elektrifiziert ist. Ich hatte die Elektrifizierung noch als Vorhaben im Kopf, dessen Realisierung unklar war. Noch mal überrascht bin ich, als ich einen der Great-Western-Fernzüge, mit denen ich durch den Südwesten gefahren bin, plötzlich mit Stromabnehmer sehe. Hier ergibt die nachfolgende Recherche, dass es sich tatsächlich um Hybridzüge handelt, die von Great Western lustigerweise als Intercity Express Trains (IET) vermarktet werden. Es gibt dabei zwei Baureihen, 800 und 802, wobei letztere die stärker motorisierte ist.
Mit so einem IET fahre ich dann auch weiter gen Wales. Der Zug ist deutlich leerer als der aus Plymouth, so dass ich meinen Koffer einfach neben mich stelle. Da britische Züge deutlich niedriger sind, passt er nicht in die Gepäckablagen über den Sitzen. Bald nach der Abfahrt passieren wir den Severntunnel, der immerhin schon 1886 eröffnet wurde und mit etwa sieben Kilometern bis 2007 der längste Tunnel Großbritanniens war. Als wir aus dem Tunnel herausfahren, sehe ich zum ersten Mal walisischen Boden. Die Landschaft hier ist etwas rauer als in Südengland, und auch den Orten sieht man an, dass es sich um eine ehemalige Bergbauregion handelt.
In Cardiff/Caerdydd, der Hauptstadt von Wales, endet der Fahrdraht. In der Wikipedia lese ich, dass die Elektrifizierung weiter nach Swansea geplant war, aber nicht mehr weiterverfolgt wird. Also fahren wir mit Diesel weiter in die zweitgrößte Stadt von Wales, die auf Walisisch Abertawe heißt. Empfangen werden wir dort nicht nur von walisischen Ansagen, sondern auch von der Polizei, die gerade zwecks Festnahme jemandem hinterherrennt. Ich esse in einem Café im Bahnhof noch etwas und fahre dann mit dem Bus zum Hotel, wo ich meinen Freund und seine Tochter treffe. Abends gehen wir noch etwas am Strand entlang und zu einer recht guten Fish&Chips-Bude. Da Swansea spektakulär unspektakulär ist, mache ich nur ein einziges Foto.
Am nächsten Morgen machen wir uns zu dritt mit dem Bus auf den Weg zum Bahnhof. In Wales läuft der gesamte Bahnbetrieb unter der Marke Transport for Wales/Trafnidiaeth Cymru. 150er gibt es hier natürlich auch, unser Zug ist aber ein geradezu niedlicher 153er:
Der Zug füllt sich relativ gut, wir ergattern noch Plätze an einem Tisch, die aber trotzdem relativ eng sind. Wir fahren zunächst über die Hauptstrecke an der Südküste. Die Zub-in kontrolliert unsere Fahrkarten und verspricht, sich zu merken, dass wir am Bedarfshalt Hopton Heath aussteigen wollen. In Llanelli wechseln wir die Fahrtrichtung und biegen auf die eigentliche Heart of Wales Line ab. Auch hier weiß ich jetzt endlich, wie das walisische LL korrekt ausgesprochen wird, nämlich ungefähr wie ein l und ein ch wie in ich gleichzeitig.
Und so tuckern wir dann durch das Herz von Wales. Natürlich war auch diese Strecke von der Stilllegung bedroht, in diesem Fall blieb sie verschont, weil die Wahlkreise, durch die sie führt, zwischen den beiden großen Parteien umkämpft war, und weil sie noch lange einen nennenswerten Güterverkehr aufwies. Den gibt es allerdings heute nur noch bei Umleitungen, wenn eine der Hauptstrecken gesperrt ist. Sonst haben die wenigen Personentriebwagen die Strecke für sich. Die werden allerdings durchaus genutzt, anscheinend viel von Wanderern, aber auch von Einheimischen. Die Landschaft ist ganz ähnlich der in Südengland, insgesamt hatten wir sie uns etwas spektakulärer vorgestellt.
In Hopton Heath, schon wieder in England, steigen wir aus. Hier hat mein Freund ein Teehaus aufgetan, in dem wir Erwachsenen bis zum nächsten Zug in zweieinhalb Stunden einen Afternoon Tea genießen und die Tochter sich auf dem Spielplatz und beim Tierestreicheln vergnügen kann.
Praktischerweise liegt das Teehaus nur ein paar Schritte vom Bahnhof entfernt, entlang eines urigen Weges zwischen den Schienen und hohen Hecken. Rechtzeitig vor dem nächsten Zug gehen wir wieder zurück. Mein Kumpel macht noch ein Bild von mir auf dem Bahnsteig:
Jetzt fahren wir nur noch etwa 40 Minuten, diesmal in einem 150er. In Craven Arms treffen wir wieder auf die Hauptstrecke, und kurze Zeit später erreichen wir Shrewsbury, wo uns unsere Freundin abholt. In den nächsten Tagen sind wir, insgesamt mit neun Freunden, leider nur mit dem Auto unterwegs, sehen dafür aber viel von Shropshire, einer außerhalb Großbritanniens vermutlich eher unbekannten Grafschaft: Am ersten Tag sind wir in Blists Hill, einem Freilichtmuseum, das an die viktorianische Zeit erinnert.
Am nächsten Tag geht es in die Hauptstadt Shrewsbury. Deren Altstadt liegt auf einer Halbinsel, um das der Fluss Severn fast eine 360-Grad-Kurve macht. Über den Severn führen zwei Brücken, die nach den Richtungen, in die sie führen, English und Welsh Bridge heißen. Zwischen den Brücken machen wir eine Schiffsfahrt und erfahren, dass die reichen Leute auf der Halbinsel den Namen der Stadt „Shrowsbury“ aussprechen und alle anderen „Shrewsbury“. Ob das so stimmt, sei dahingestellt, es gibt jedenfalls tatsächlich beide Aussprachen. Da Charles Darwin in der Stadt geboren ist, ist unter anderem nahe dem Schiffsanleger ein Spielplatz nach ihm benannt. Ob auf diesem die natürliche Auslese gefördert werden soll, ist unklar.
Zum Abschluss unseres Kurzurlaubs fahren wir noch zum Long Mynd, einer recht imposanten Hügelkette, und machen dort eine kurze Wanderung. So in etwa hatte ich mir das Heart of Wales vorgestellt. Ich glaube, die höheren Berge gibt es dort auch, aber ohne Bahnanschluss.
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