Im ersten Teil habt ihr mich von Bremen über Weymouth nach Plymouth begleitet. Die Stadt nutze ich vor allem als Stützpunkt, um von dort aus Cornwall zu erkunden, wo ich 1994 und 1996 mit meiner und einer befreundeten Familie Urlaub gemacht habe. Da wir damals fast nur mit dem Auto unterwegs waren, will ich den südwestlichsten Zipfel Englands endlich mal per Bahn kennen lernen, vor allem die Nebenstrecken, die immer wieder als besonders sehenswert beschrieben werden.
Die beiden wohl schönsten will ich an diesem Tag befahren. Dazu fahre ich über die Royal Albert Bridge, die Devon und Cornwall verbindet und immerhin schon 1859 eröffnet wurde, nach Liskeard. Der Vorteil einer Zugfahrt ist auch, dass ich jetzt endlich weiß, wie die Ortsnamen, die ich immer nur auf der Landkarte gesehen habe, richtig ausgesprochen werden, in diesem Fall „Liskard“. In Liskeard zweigt die Looe Valley Line nach Looe ab, die durch das malerische gleichnamige Flusstal führt. Sie hat einen eigenen kleinen Bahnhof, der quer zum Bahnhof der Hauptstrecke liegt. Dort wird auf Infotafeln die Geschichte der Strecke erzählt: Ursprünglich führte die Strecke von Looe nach Moorswater und hatte keine Verbindung zur Hauptstrecke, die hier viel höher liegt. Diese kam erst durch eine steile Hufeisenkurve hinzu, für die der Zug die Richtung wechseln muss. Wegen der zunehmenden Konkurrenz des Autos in den 1960er-Jahren sollte auch diese Strecke stillgelegt werden. Es gab sogar schon einen Termin dafür, aber die damalige Verkehrsministerin entschied in letzter Minute, dass die Strecke erhalten bleibt, um die engen Straßen in der Region nicht noch weiter zu belasten – eine für die damalige Zeit sehr fortschrittliche Entscheidung.
Heute fahren die Züge annähernd im Stundentakt, sonntags seltener und nur im Sommer. Durch die Fahrzeit von knapp 30 Minuten entstehen sehr kurze Wendezeiten, Kreuzungsmöglichkeiten gibt es auf der Strecke nicht. Um den Fahrplan etwas zu entspannen, werden die vier Zwischenhalte, die ohnehin sehr wenig Fahrgastaufkommen haben, nicht immer bedient.
Der Zug (ein Doppeltriebwagen der Class 150) ist recht gut gefüllt, ich finde aber wieder problemlos einen Sitzplatz. Zunächst fahren wir die Hufeisenkurve hinunter, unter dem Viadukt der Hauptstrecke durch, bis wir auf die eigentliche Strecke treffen. Einige Züge fahren hier noch ein paar hundert Meter weiter bis zum Haltepunkt Coombe Junction, mein Zug hat nur einen Betriebshalt direkt am Abzweig. Der Zub muss hier aussteigen und die Weiche manuell stellen, dann geht es weiter Richtung Looe. Unterwegs hat man einen schönen Blick auf das Flusstal. Unterwegs gibt es einen BÜ, vor dem der Zug anhalten und pfeifen muss und erst dann weiterfahren kann.
In Looe angekommen, laufe ich bis zum nächsten Zug ein wenig durch den Ort, den ich auch schon 1994 besucht habe. Er ist recht malerisch und natürlich recht gut mit Touristen gefüllt. Etwas ärgerlich ist, dass Autos von Anliegern durch die engen Straßen fahren dürfen, Besucher müssen aber am Ortsrand parken.
Eine gute Stunde später mache ich mich auf den Rückweg. Dank meiner Strategie, immer auf der in Fahrtrichtung gleichen Seite zu sitzen (meistens auf der mit potenziellem Gegenverkehr, hier also rechts) ist die Aussicht auf der Rückfahrt eine ganz andere, auch wenn ich dieselbe Strecke fahre. In Liskeard habe ich ein wenig Zeit zu meinem Anschlusszug, der mich weiter hinein nach Cornwall bringt. Diesmal fahre ich bis St Erth, wo die Nebenstrecke nach St Ives abzweigt. Leider hat auch diesmal mein Zug Verspätung, so dass ich den Anschluss gerade noch abfahren sehe. Ein Schild weist darauf hin, dass auch hier die Wendezeiten kurz sind und die Züge daher nicht warten können. Die Strecke har zwar ebenfalls keine Kreuzungsmöglichkeit, ist aber sehr kurz (knapp 7 Kilometer). Daher kann hier in der Saison sogar im Halbstundentakt gefahren werden, ich muss also nicht lange warten.
Da St Ives bei Touristen sehr beliebt ist, ist die Strecke deutlich stärker frequentiert als die nach Looe, zumal Autofahrer angehalten sind, bereits in St Erth zu parken. Daher wird nicht nur im Halbstundentakt, sondern auch mit zwei Doppeleinheiten 150er gefahren. Die füllen sich tatsächlich auch gut, stehen muss aber niemand. Da ich wieder rechts sitze, ergibt sich ein atemberaubender Blick auf die Küste.
Vom Bahnhof St Ives ist der Weg in den Ort deutlich länger als in Looe. Da ich mit dem nächsten Zug wieder zurück fahren will, laufe ich nicht ganz bis ins Zentrum. Der beste Blick auf den Ort ergibt sich ohnehin aber schon vorher:
Nachdem es beim Aussteigen aus dem Zug bewölkt war, kommt jetzt die Sonne wieder heraus, und ich stelle fest, dass ich wohl meine Kappe im Zug vergessen habe. Da ja immer derselbe Zug auf der Strecke pendelt, hoffe ich, sie dort noch zu finden, und versuche mich zu erinnern, wo ich gesessen habe. Als der Zug kommt, finde ich die Kappe tatsächlich in der Gepäckablage – Glück gehabt!
Im Anschlusszug zurück nach Plymouth finde ich die Reservierungsanzeigen interessant. Sie zeigen nicht nur an, von wo bis wo der Platz reserviert ist, sondern auch die Folgereservierung. Vor allem aber kann man durch eine rote oder grüne LED sofort sehen, ob der Platz überhaupt reserviert ist.
Da ich wiederum rechts sitze und vor der Royal Albert Bridge eine scharfe Kurve kommt, kann ich davon ein Foto aus dem Zug machen. Sie ist ein Werk von Isambard Kingdom Brunel, des Chefingenieurs der Great Western Railway, der auch andere Verkehrsbauwerke wie einen Themsetunnel entworfen hat, der heute von London Overground genutzt wird.
Zurück in Plymouth, hole ich mir wieder Essen beim Takeaway, diesmal ein Hähnchencurry, das in der Form wohl typisch britisch ist. Prompt werde ich in der Gemeinschaftsküche wieder von den Hunden angebellt und von der Besitzerin aufgeklärt, dass die Hunde aufgrund schlechter Erfahrungen Angst vor Männern hätten.
Für den nächsten Tag hatte ich bei der Vorbeifahrt an der Sea Wall überlegt, dorthin zu fahren und Bilder zu machen. Leider ist dann morgens der Himmel grau, und es regnet die meiste Zeit. Ich überlege, ob ich trotzdem fahren soll, erfahre aber, dass der Zug Richtung Exeter ausfällt. Zur Zeit befinden sich die britischen Bahngewerkschaften im Arbeitskampf. Die drei großen Aktionstage Mitte und Ende Juli verpasse ich zum Glück, es kann aber vorkommen, dass einzelne Züge ausfallen, da die Mitarbeiter Überstunden verweigern. Dieser Zug ist wohl ein Opfer davon, also disponiere ich um und fahre zu einer weiteren kornischen Nebenstrecke, der von Par nach Newquay. Der Zug dorthin fährt nicht nur, sondern ist auch pünktlich. In Par bekomme ich mit, wie ein High Speed Train der Great Western Railway in der Gegenrichtung hält, was auch andere Eisenbahnfotografen anzieht.
Die GWR hat die betagten Züge renoviert und setzt sie als Kurzeinheiten mit je sechs Wagen zwischen zwei Triebköpfen auf Mittelstrecken ein. Die Einheiten wurden nach Schlössern benannt und heißen deswegen auch „Castle HSTs“. Mein Zug nach Newquay ist aber, wie schon auf den anderen Nebenstrecken, wieder ein 150er, diesmal wieder solo.
Der Zug rumpelt los und hält nach kurzer Zeit in St Blazey wieder an. Hier ist zwar kein Verkehrshalt, die Strecke wird aber eingleisig. Vermutlich muss der Tf hier den Token abholen, die Berechtigung, dass er die Strecke befahren darf. Die besteht tatsächlich aus einem Metallstab, der physisch weitergegeben wird. Weiter fährt der Zug durch sehr idyllische grüne Landschaft, in der immer wieder die Blätter gegen die offenen Fenster schlagen. Erster Halt ist Luxulyan, den Namen fand ich immer faszinierend, seit ich ihn als Teenager das erste Mal auf der Landkarte gesehen habe.
Der offizielle Beiname der Strecke ist Atlantic Coast Line, da die Strecke aber ziemlich in der Mitte einmal quer über die Halbinsel verläuft, würde Heart of Cornwall auch sehr gut passen. Es gibt auch verschiedene Landschaften zu sehen, nach dem wildromantischen Luxulyan Valley wird es deutlich flacher. Nicht weit entfernt sieht man aber recht hohe Berge, dort wird Kaolin (Porzellanerde) abgebaut. An der Goonbarrow Junction kreuzen wir einen Kaolinzug, der von einer DB-Lok gezogen wird.
Bei der Ankunft in Newquay hat die Vorbeifahrt an den Bäumen ihre Spuren im Zug hinterlassen:
Vor allem wegen des Wetters überlege ich, ob ich überhaupt aussteigen soll. Aber da ich nun schon mal da bin, erkunde ich ein wenig die Stadt, die aber tatsächlich nicht übermäßig interessant ist. Ein netter Anblick ist aber das Haus auf einem Felsen am Strand, das nur über eine Hängebrücke erreichbar ist.
Die Zeit (insgesamt knapp zwei Stunden) bis zum nächsten Zug zurück wird mir nun doch etwas lang, also laufe ich schon mal zum Bahnhof. Da steht der Zug tatsächlich schon, und interessanterweise ist es ein Ferntriebwagen der Baureihe 802. Newquay hat nämlich einmal am Tag eine Direktverbindung von und nach London, so dass ich zurück nach Plymouth nicht umsteigen muss. Und es ist noch genug Zeit, ein Bild vom Zug zu machen, auch wenn sich das Personal vermutlich wundert, warum ich zum Bahnsteigende tigere.
Wie es sich für einen Fernzug gehört, gibt es auch ein gastronomisches Angebot in Form eines Trolleys. Bei dessen Personal bestelle ich einen Kaffee. Während ich den schon bezahle (nur Karte möglich), teilt mir die Servicemitarbeiterin mit, dass das Wasser noch nicht warm genug sei und sie später noch mal wiederkämen. Das tun sie dann irgendwo hinter Par auch. Leider schmeckt der Kaffee so ziemlich nach gar nichts, was ich darauf schiebe, dass Großbritannien halt ein Teeland ist.
Auf der Fahrt überlege ich, was ich mit dem angebrochenen Nachmittag noch mache. Ursprünglich hatte ich vor, in der Nähe von Plymouth das Ferienhaus zu besuchen, in dem wir 1994 gewohnt haben, aber bei dem Wetter macht das keinen Spaß. Stattdessen fahre ich eine weitere Nebenstrecke, die als sehenswert gilt, nämlich die Tamar Valley Line von Plymouth nach Gunnislake. Als Ausgleich für die verpassten Anschlüsse der letzten Zeit klappt der Dreiminutenanschluss in Plymouth (offiziell natürlich gar keiner), und der 150er tuckert zurück Richtung Cornwall. Noch vor der Royal Albert Bridge biegen wir aber ab und holen wieder einen Token, bevor es dann unter der Brücke durch und am Fluss entlang geht. Am spektakulärsten an der Strecke dürfte der Viadukt von Calstock sein, von dem man einen schönen Blick auf den Ort und den Tamar hat. Fotos mache ich angesichts des Wetters aber nicht. Ebenso spektakulär ist, wie langsam der Zug zwischen Bere Alston und der Endstation fährt. Hier steige ich aber nur ganz kurz aus und setze mich sofort wieder in den Zug. Auch auf der Rückfahrt geht es sehr langsam voran, was am starken Gefälle liegen mag. In Bere Alston wechseln wir wie auf der Hinfahrt die Fahrtrichtung, weil die Strecke aus den Reststücken von zwei alten Strecken besteht.
Zurück in Plymouth regnet es zwar immer noch, ich laufe aber trotzdem noch ein wenig durch die Innenstadt. Die hat schon bessere Zeiten gesehen, immerhin hat man von „The Hoe“ aber einen ganz guten Blick aufs Meer. Da ich weder Lust auf Takeaway noch auf die Gemeinschaftsküche habe, esse ich beim German Döner Kebab, wo anscheinend versucht wird, eine deutsche Dönerbude als internationale Systemgastronomie nachzubauen. Dann besorge ich noch beim Tesco einen Nachtisch und gehe zurück ins Appartement.